ÜBER MEINE OBJEKTE UND INSTALLATIONEN

Anne Prenzler, Kulturwissenschaftlerin

Aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung : ANALYS – ANALYSE, eine Gemeinschaftsausstellung von Sabine Öllerer und Agneta B.Lind (Schweden) im Kunstraum Benther Berg am 01.03.2014

Die Objekte und Bilder von Sabine Öllerer greifen ebenfalls auf textile Techniken zu, wie Häkeln, Sticken oder Nähen. Und sie funktionieren ebenfalls in einer konzeptuellen Art und Weise. Und auch hier haben wir es mit dem Themenkomplex Körper und Identität zu tun, der sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk von Sabine Öllerer zieht.

Die Patchworkarbeit „Familie“ kommt als goldumhäkeltes Familienporträt der ganz ungewöhnlichen Art daher. Auseinander geschnitten und neu zusammengenäht sucht man hier nach Ähnlichkeiten und Zusammenhängen, nach den einzelnen unter vielen. Das Zerschneiden, an anderer Stelle auch das Durchstechen, führen uns in den Arbeiten von Sabine Öllerer zu einem ganz anderen Aspekt des Mediums Textil, der eine durchaus zerstörerische Seite darstellt. Vor dem Verbinden steht hier häufig das Zerlegen in Einzelteile, in anderen Arbeiten wird das Innere nach Außen gekehrt, werden Symbole für Liebe und Leben mit Blut und Fleisch konfrontiert.

Für die Serie „12 x 100“ hat die Künstlerin 12 Porträts von 100jährigen nachgestickt. In den Falten oder schöner gesagt in den Linien eines Gesichts kann man ablesen, wie alt ein Mensch ist, ob sein Leben sorgenvoll ist, ob er Humor hat. Man sagt ab 40 ist das Leben, das wir führen und wie wir es führen, verantwortlich für unser Aussehen. Alleine das Thema rührt uns an. Die Stickbilder zeigen diese Lebenslinien im sprichwörtlichen roten Faden ausgestaltet, was den Mythos des Fadens als Lebensfaden wieder ins Spiel bringt. Sie reduzieren das Gesicht auf möglicherweise oder vermeintlich Wesentliches und generieren dazu noch vielfältige Analogien, erinnern an feine Blutgefäße oder Verästelungen von Flüssen oder Bergformationen, wie sie uns das Tellus Dag Bok von Agneta B. Lind zeigt. Das Gesicht als Landschaft, auf dem sich Erlebtes als Erosionen und Schluchten eingeschrieben hat. Zugleich lassen sich die Arbeiten als abstrahierte Zeichnungen lesen, in denen es um offene und geschlossene Formationen geht. Nicht zu vergessen ist aber auch hier natürlich der Aspekt des Stechens und Zerstechens, damit kommt eine emotionale Ebene ins Spiel, die das Thema Alter, Altern und Sterben anspricht. Und so agieren die Arbeiten von Sabine Oellerer stets auf verschiedenen Ebenen und setzen ganze Assoziationsketten in Gang.

Und damit möchte ich einen zweiten wesentlichen Aspekt im Werk von Sabine Öllerer ansprechen. Ihre Arbeiten gehen aus vom Bekanntem, von kulturellen Prägungen und kollektiven Erinnerungen. Die Künstlerin setzt uns Dinge auseinander, die wir nur allzu gut kennen, von denen wir einen festen Begriff haben – um dann unsere Überzeugungen bewusst zu verunsichern und zu irritieren.

Nehmen wir ihre Herzen. Das Herz ist natürlich ein Symbol, das jeder kennt, das schon Vierjährige benutzen. Es ist fast schon eine Grundform wie ein Kreis. Die Herzen, die wir hier sehen, entsprechen jedoch anatomisch geformten Herzen. Anstelle von Liebe lösen sie eher Gefühle von Ekel oder Angst vor Verletzungen aus. Das Herzobjekt in der Vitrine ist mit unzähligen Svarovski-Steinen besetzt. Es erhebt damit den Anspruch äußerst wertvoll zu sein. Es gibt da die Redewendung „Jemand hat ein goldenes Herz“, doch dieses Exemplar wirkt zu prunkvoll und kalt um gütig zu sein. Es ist ja im Grunde ein steinernes Herz, wie im Märchen „Das kalte Herz“ von Wilhelm Wilhelm Hauff. Aber auch das wäre zu kurz gegriffen, es sind schließlich sehr edle Steine. Und Edelmut und Herz, das passt wiederum auch. Dann ist da noch der Aspekt des Wertes des menschlichen Lebens, oder des Organspendens, aber noch eine ganz andere Assoziation, die auch etwas mit dem Wert des Lebens bzw. mit dem Wissen um den eigenen Tod zu tun hat, steht im Raum. Die Arbeit zitiert natürlich auch den diamantenbesetzten Totenkopf von Damian Hirst, der als ein Fanal der jüngeren Kunstmarktgeschichte geschaffen wurde, um das teuerste Kunstwerk aller Zeiten zu sein und den Kunstmarkt damit regelrecht vorführte als Ort maximaler Wertschöpfung und gleichzeitiger maximaler Sinnentleerung. Sie sehen, wie die Werke von Sabine Öllerer ganze Ketten von Assoziationen in Gang setzen, uns auffordern unser Gedächtnis zu befragen, nach Bildern und Sprachbildern. Ich habe mich noch gefragt, ob es ein Zufall ist, dass Sabine Öllerer anstelle des Schädels das Herz als Objekt wählt. Die Chinesen gehen nämlich davon aus, dass das  Bewusstsein nicht im Kopf sondern im Herzen sitzt, aber das nur am Rande.

Sabine Öllerers Arbeiten haben viel mit Begriffen zu tun, also mit der Art und Weise, wie wir Welt begreifen, wie wir uns mithilfe von Begriffen ein Bild von ihr machen. Nehmen sie die Formulierung in der Haut eines anderen stecken in Bezug auf das Kleid. Bei der „Gehirnkappe“ ist das geflügelte Wort der Gedankenfreiheit angesprochen, zugleich wird hier unser Innerstes nach außen gekehrt, zu einer Hutbedeckung, die auch etwas bewusst Komisches hat. Es ist ein schönes Gehirn, kaum blutig, in glänzendem Rosa, dabei ist doch das Gehirn als Sitz unseres Bewusstseins etwas Ernstes, ohne Bewusstsein denken wir sind wir nur noch Gemüse und schließen entsprechende Patientenverfügungen ab. Und dann ist da noch dieses wundervolle Lied „Die Gedanken sind frei“.

Warum also entspinnen sich Assoziationsketten, die ganz häufig etwas mit Sprache zu tun haben, mit geflügelten Worten, mit Titeln von Märchen oder sprichwörtlichen Begriffen. Ich spreche heute nicht zum ersten Mal über die Arbeiten von Sabine Öllerer und ich habe das Gefühl ihr jedes Mal ein wenig mehr auf die Spur zu kommen. Ich glaube nämlich gerade das macht einen Teil der Faszination dieser Arbeiten aus, dass hier Spuren gelegt werden, die uns überraschen und irritieren, die mitunter in eine Sackgasse führen oder sich auf dünnem Eis bewegen, um weiter in der bildlichen Sprache zu bleiben. Es ist wie ein Spiel zwischen Künstlerin und Betrachter, wie beim Ping Pong, ich entwickle eine Idee zum Objekt und während ich sie überprüfe, kommt der nächste Gedanke angeflogen…

smålandsposten (Schweden)

„Sabine Öllerers Ausstellung ist eine Spritze mit Sofortwirkung. Man kann nicht umhin von den Arbeiten berührt zu werden – unmittelbar.“

Thomas Lissing, Journalist